Artikel voor het Duitse blad ZAG, 7 juni 2002

Auteur: Eric Krebbers


Liberaler Rassismus in den Niederlanden

Über ein Drittel der Bevölkerung stimmten bei den Rotterdamer Kommunalwahlen im März 2002 für den rechten Populisten Pim Fortuyn. Zwei Monate später wurde Fortuyn umgebracht. Nur 10 Tage später gewann seine Partei, die Lijst Pim Fortuyn (LPF), 26 von 150 Sitzen im holländischen Parlament. Damit wurde die LPF, erst drei Monate vorher gegründet, zur zweitstärksten Partei der Niederlande.

Fortuyns großer Sieg beruht darauf, dass Meinungsführer, Sozialwissenschaftler sowie konservative, liberale, christdemokratische und sozialdemokratische Politiker 10 Jahre lang gegen Immigranten zu Felde gezogen sind. Der konservative Parteiführer Bolkestein beispielsweise verbrachte die Neunziger Jahre damit, auf Immigranten und Flüchtlingen einzuschlagen: Sie seien Kriminelle und nützten das Sozialhilfesystem aus. Schließlich wurde Bolkestein als EU-Kommissar nach Brüssel befördert.

Gefühle rassischer Überlegenheit aus der Kolonialzeit tauchten schnell wieder auf. Holländer und Holländerinnen fingen an, Migranten und Flüchtlinge in erster Linie als ein Problem wahrzunehmen. Die Konsequenz war, dass ohne viel Protest zahlreiche gegen die Immigration gerichtete Gesetze verabschiedet wurden. Eine Steuernummer wurde 1992 eingeführt, der Ausweiszwang 1995 und die ‚Koppelingswet' 1998, ein Gesetz, durch das alle Regierungsdatenbanken verknüpft werden, um Flüchtlinge und Immigranten ohne Papiere von allen Sozialleistungen auszuschließen.

Das neue Einwanderungsgesetz von 2001 macht es Flüchtlingen fast unmöglich, Asyl in den Niederlanden zu erhalten. Gleichzeitig wurden Grenzkontrollen ausgeweitet, Razzien am Arbeitsplatz verstärkt und zusätzliche Gefängnisse für Flüchtlinge und Immigranten ohne Papiere gebaut.

Die extreme Rechte war aufgrund von internen Auseinandersetzungen nicht in der Lage, die rassistische Stimmung auszunutzen und für eine ernstzunehmende Partei zu mobilisieren. Ohnehin wäre die extreme Rechte nicht in der Lage gewesen, viele Menschen in Bewegung zu versetzen: Erstens wird sie immer noch mit der Besetzung durch die Nazis im Zweiten Weltkrieg in Verbindung gebracht und zweitens griff ja bereits der anständige Mainstream, die Mitte der Gesellschaft, vigoros Ausländer an.

Im Frühjahr 2000 veröffentlichte der ehemalige Kommunist und jetzige Meinungsführer Paul Scheffer seinen berühmten Artikel zum "multikulturellen Drama": Immigranten und Flüchtlinge integrierten sich nicht genügend in die holländische Gesellschaft. Die meisten anderen Meinungsführer aus dem Mainstream stimmen zu: Die Niederländer seien bisher zu tolerant gegenüber Ausländern gewesen. Diese hätten "barbarische Ideen" und Gewohnheiten, welche "wir liberalen Holländer nicht gut heißen".

Alle diese Meinungsführer geben sich als große Verteidiger der Aufklärung, vertreten die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Trennung von Staat und Kirche, die Rechte des Individuums usw.: Ideale die angeblich im "freien Westen" seit langem dank Leuten wie Ihnen verwirklicht seien. Diese Selbstüberhöhung geht zu Lasten aller Ausländer, die von diesen Leuten als das genaue Gegenteil von ihnen selbst, nämlich als fanatische islamische Fundamentalisten dargestellt werden. Die Meinungsführer führen einen Medienkrieg gegen "den Islam" den man nicht verlieren kann: Wer würde schon die Partei "gefährlicher, rückwärts gewandter Leute" ergreifen, die nach Scheffer "die Entwicklung der holländischen Gesellschaft um ein halbes Jahrhundert zurück geworfen haben". Die meisten Meinungsführer sprechen sich kategorisch dagegen aus, Immigranten und Flüchtlingen zu erlauben, in die Niederlande einzureisen.

Den Meinungsführern ist es gelungen, fast die gesamte Gesellschaft zu mobilisieren, nicht nur, wie man hätte vermuten können, die traditionelle Rechte. Um ein Beispiel zu nennen: Indem sie ständig wiederholten, dass die von manchen muslimischen Frauen getragenen Kopftücher per se ein Ausdruck der Unterdrückung von Frauen seien, gelang es den Meinungsführern, einen großen Teil der Frauenbewegung auf ihre Seite zu bringen. Das gleiche gelang mit der Schwulenbewegung, als ein unbekannter Imam namens Khalil el-Moumni sagte, dass Homosexualität eine Krankheit sei. Diese Bemerkung wurde zu einem riesigen Skandal aufgeblasen. Überraschenderweise löste einige Monate zuvor eine ganz ähnliche Bemerkung des christlich-fundamentalistischen Parlamentariers Van Dijke, nämlich dass Schwule nicht besser als Diebe seien, nicht soviel Ärger aus. In zunehmendem Maße macht sich die Meinung breit, dass Übel wie Fundamentalismus, Homophobie, das Patriarchat und Antisemitismus "unholländisch" und von Ausländern eingeführt seien. Das ist völliger Nonsens, was natürlich nicht bedeuten soll, dass diese Probleme unter Immigranten und Flüchtlingen keine Rolle spielten, sie haben eben nur nichts mit der Nationalität zu tun.

Dann kam der 11. September. Es konnte nicht überraschen, dass in den Niederlanden im Vergleich zu den Nachbarländern die Reaktionen extrem gewalttätig waren: Dutzende Moscheen und Asylbewerberheime wurden angegriffen. Von allen Ausländern wurde erwartet, öffentlich Bin Laden, den Fundamentalismus oder sogar den Islam insgesamt zu verurteilen. Im gleichen Sommer hatte sich der Meinungsführer Fortuyn entschlossen, in die Politik zu gehen. Seine Position als Universitätsprofessor erlaubte es ihm, öffentlich rassistische Positionen zu vertreten, für die Neonazis für gewöhnlich verurteilt wurden. Er bezeichnete den Islam als "rückwärts gewandte" Religion; Schwule wie er könnten sich aufgrund von militant schwulenfeindlichen Marokkanern nicht mehr sicher fühlen. Fortuyn warnte vor der "Islamisierung" der holländischen Kultur und warb für einen "kalten Krieg gegen den Islam", denn "Muslime seien dabei, Westeuropa zu erobern". Ausländer sollten lernen, Holländer zu sein oder das Land verlassen. Oft bezeichnete er Ausländer als Kriminelle. Wir sollten die Freiheit haben, meinte Fortuyn, diese "Wahrheiten" über Ausländer auszusprechen, ohne Rassisten genannt zu werden. Jede rassistische Bemerkung trug zu seiner wachsenden Popularität bei.

Neun Tage vor den Parlamentswahlen, am sechsten Mai, wurde Fortuyn umgebracht. Auf einmal wurde das rassistische Klima, das so lange aufgebaut worden war, für jeden sichtbar. Pogrome lagen in der Luft: War der Attentäter ein Ausländer oder, noch schlimmer, ein Muslim? Glücklicherweise zeigte es sich, dass er ein Weißer war; es gab keine rassistischen Angriffe. Aber zehntausende Fortuyn-Fans demonstrierten tagelang gemeinsam mit Nazi-Aktivisten. Überall sah man holländische Flaggen; Menschen schrieen, dass ihr "Erlöser" tot sei, der Mann, der "uns aus dem Sumpf von Immigration und Kriminalität" errettet hätte, der Mann "der keine Angst hatte, das zu sagen, was wir alle denken". Jetzt, nach den Wahlen, bildet sich unter Einschluss der LPF eine neue Regierung, welche neue, harte Anti-Immigranten Gesetze plant: Gegen die Familienzusammenführung und gegen die letzten paar Flüchtlinge, die es derzeit noch schaffen, in das Land zu kommen.

Zurück