IZ3W, Februar 2005

Von: Eric Krebbers

Übersetzung aus dem Englischen: Christian Stock (IZ3W)


Das rassistische Drama
In den Niederlanden folgt auf den Multikulturalismus die erzwungene Integration

Nach der Ermordung des Filmemachers Theo van Gogh durch einen Islamisten ist in den Niederlanden überall vom „Scheitern der multikulturellen Gesellschaft“ die Rede. Die damit verbundene Repression gegen alle MigrantInnen knüpft an einen schon länger andauernden Prozess der Diskriminierung an. Das offenbart, wie wenig das niederländische Modell des Multikulturalismus von antirassistischen Grundüberzeugungen ausging.

Am 4. November 2004, nur zwei Tage nach der Ermordung des Filmemachers Theo van Gogh, kündigte der fraktionslose Parlamentsangeordnete Geert Wilders die Gründung einer neuen konservativen Partei an. Laut mehrerer Umfragen konnte er mit über 20 Prozent der Wählerstimmen rechnen, was seine Partei zur zweitgrößten der Niederlande machen würde.

Schon seit Jahren führt Wilders einen Kreuzzug gegen den Islam: „Unsere Kultur ist wegen der mehr als eine Million Muslime in unserem Land in Gefahr“. Für ihn haben Muslime eine „rückständige Kultur“: „Warum schrecken wir davor zurück zu sagen, dass die Muslime sich an uns anpassen sollten, weil unsere Normen und Werte einfach auf einem höheren, besseren und netteren Zivilisationsniveau sind. Nicht Integration, Assimilation!“ Er versprach, als Minister umgehend ein Kopftuchverbot auszusprechen und die Imame, die „zum Heiligen Krieg aufrufen, zurück in ihre Höhlen in Saudi Arabien oder sonst wo“ zu schicken. Außerdem wolle er Muslime von Grundrechten ausschließen, etwa von der Freiheit, Schulen oder Organisationen zu gründen. Um die „Islamisierung der holländischen Kultur“ zu beenden, solle die Einwanderung gestoppt werden, und jeder nicht-integrierte Migrant solle das Land verlassen. Er rechtfertigte sogar Rassismus: „Wenn es zu rassistischen Übergriffen kommt, was ich wirklich nicht will, müssen diese nicht automatisch negative Folgen haben.“

Gegen alles Migrantische

Wilders Ansichten sind ziemlich extrem, aber keinesfalls neu oder einzigartig in den Niederlanden. In den letzten Jahren äußerten viele Meinungsmacher solche Gedanken. Und Wilders wurde zwar im September 2004 wegen seiner rechtsextremen Vorstellungen aus der liberal-konservativen Partei VVD ausgeschlossen, doch schon drei Monate später bat ihn die Partei um seine Rückkehr, nachdem sie sah, wie populär er geworden war. Die Ermordung von Van Gogh hatte Wilders Ansichten für den Mainstream akzeptabel gemacht. Er kehrte indes nicht in die VVD zurück.

Wilders Popularität ist das Ergebnis einer seit rund zwölf Jahren andauernden Kampagne gegen MigrantInnen durch Meinungsmacher, Sozialwissenschaftler sowie konservative, liberale, christdemokratische und sozialdemokratische Politiker. MigrantInnen und Flüchtlinge wurden darin als Kriminelle und Profiteure des Sozialsystems hingestellt und als Problem wahrgenommen. Die seit der Kolonialzeit bestehenden Überlegenheitsgefühle kamen wieder an die Oberfläche. Die Folge war, dass ohne größere Proteste zahlreiche Gesetze zur Erschwerung von Einwanderung verabschiedet werden konnten. 2001 machte ein neues Zuwanderungsgesetz es Flüchtlingen nahezu unmöglich, in den Niederlanden Asyl zu erlangen. Im Jahr 2002 bekamen gerade noch 103 Asylbewerber eine Aufenthaltserlaubnis als politische Flüchtlinge, nicht mal 0,55 Prozent aller Antragsteller. Zur gleichen Zeit wurden die Grenzkontrollen verschärft, die Zahl der Razzien an Arbeitsplätzen wuchs ebenso wie die Zahl der Sondergefängnisse für illegalisierte Flüchtlinge.

Der extremen Rechten gelang es jedoch nicht, diese rassistische Stimmung für ihre Zwecke zu nutzen. Zum einen, weil sie noch immer mit der nationalsozialistischen Besatzung im Zweiten Weltkrieg in Verbindung gebracht wird, und zum anderen, weil die Wähler zu Recht von den ‚gemäßigten’ Politikern annehmen konnten, dass sie dieselbe Politik betrieben.

Authentische Multi-Kultur

Bis etwa zum Jahr 2000 war die multikulturalistische Ideologie für die Politik des Mainstream zentral. Politikern, Meinungsmachern, der professionellen Mittelklasse und besorgten Bürgern ging es darum, die „kulturelle Vielfalt der Niederlande“ anzuerkennen und andere „nationale Kulturen“ soweit wie möglich zu respektieren. Die verschiedenen Verhaltensweisen und Traditionen der MigrantInnen müssten in ihrem „kulturellen Kontext“ gesehen und nicht vorschnell verdammt werden. Gemäß der Devise „Einigkeit in der Vielfalt“ sollte den Migranten ein eigener Platz in der Gesellschaft zugestanden werden.

Wenn man die Gesellschaft betrachtet, bestimmt meist die politische Einstellung, was man sieht. Die radikale Linke etwa fokussiert auf kapitalistische, patriarchale und rassistische Herrschaftsbeziehungen, die es zu bekämpfen gilt. Die Multikulturalisten hingegen wollten sich stark voneinander unterscheidende „nationale Kulturen“ sehen, die alle erhalten werden sollen. Das Denken in Kulturen und den dazugehörigen „Völkern“ ist jedoch eine nationalistische politische Option. Der Multikulturalismus blendet das Bewusstsein über Herrschaftsbeziehungen innerhalb dieser angeblichen „Völker“ und über die unterdrückerischen Praktiken innerhalb der angeblichen „Kulturen“ aus.

MigrantInnen und Flüchtlinge wurden von den Multikulturalisten somit vor allem als Repräsentanten ihrer „Kultur“ angesehen, die sie wiederum an ihre Kinder weitergeben sollten, etwa durch Unterricht in „ihrer“ Sprache. So war beispielsweise die „marokkanische Kultur“ für das Verhalten von Jugendlichen verantwortlich, selbst wenn die Eltern oder gar Großeltern Marokko schon lange verlassen hatten. Selbst jene MigrantInnen, die vor „ihrer Kultur“ in die Niederlande flohen, wurden von den Multikulturalisten eben dieser Kultur zugerechnet.

Die niederländische Regierung trug zu dieser Entwicklung bei, indem sie vor allem jene konservativen Organisationen von MigrantInnen und Flüchtlingen anerkannte und finanziell unterstützte, welche die „ursprüngliche Kultur“ der Herkunftsländer vermeintlich am besten repräsentierten. Beispielsweise trafen sich Regierungsvertreter regelmäßig mit Imamen und Moscheevorstehern, als ob diese alle MigrantInnen und Flüchtlinge aus der Türkei und aus Marokko vertreten würden. Organisationen mit progressiven Vorstellungen wurden hingegen als „nicht authentisch“ eingeschätzt. Auf diese Weise trug die Regierung zur Festschreibung von ungleichen Machtverhältnissen innerhalb der MigrantInnen- und Flüchtlingscommunities bei und schwächte die Position von Frauen, ArbeiterInnen und Minderheiten.

Weil der Multikulturalismus auch bei den konservativen Eliten der Einwanderer-Communities auf Unterstützung stieß, erschien er den niederländischen Eliten lange Zeit als attraktive Ideologie. Die Schaffung separierter Gemeinschaften ähnelte zudem dem Modell, das die niederländische Gesellschaft seit Beginn des 20. Jahrhunderts dominiert hatte und das sich als sehr effektiv gegen radikalen Widerstand erwiesen hatte. Auf diese Weise wurde die Arbeiterklasse gespalten, und jede ihrer Fraktionen wurde durch die jeweiligen katholischen, protestantischen, sozialistischen oder sonstigen Eliten angeführt. Dies machte Solidarität schwierig und organisierte Gegenmacht von unten nahezu unmöglich.

Der Multikulturalismus kam aber auch der Ausbeutung migrantischer Arbeitskräfte gelegen. Die Multikulturalisten betonten, wie viel die ArbeitsmigrantInnen zu „unserer Wirtschaft“ beitrugen. Sie erzählten bewegende Geschichten von hart arbeitenden Türken, die „unsere Toiletten“ reinigten, von Afrikanern, die so tolles Kunsthandwerk schufen, oder von Vietnamesen, die „uns“ mit ihren Frühlingsrollen erfreuten. Weitaus weniger interessant waren hingegen jene MigrantInnen und Flüchtlinge, die sich nicht nützlich machen konnten oder denen dies verwehrt wurde. Sie konnten etwa im Falle von drohenden Abschiebungen nicht auf die Unterstützung der Multikulturalisten rechnen. Obwohl letztere zwar gegen den Rassismus der extremen Rechten protestierten, wandten sie sich nie gegen den staatlichen Rassismus oder gegen die Abschiebemaschinerie.

Ausgrenzende Integration

Gegen Ende der 90er Jahre führten der wachsende Rassismus und die Dominanz der politischen Rechten dazu, dass die Elite den Multikulturalismus aufgab. Der multikulturelle Nationalismus wurde nun in einen konservativen Nationalismus mit forcierter Assimilationspolitik umgewandelt. Im Frühjahr 2000 publizierte der frühere Kommunist Paul Scheffer einen berühmt gewordenen Artikel über das „multikulturelle Drama“, in dem er behauptete, dass die MigrantInnen und Flüchtlinge sich nicht genug in die niederländische Gesellschaft integrierten. Die meisten Meinungsmacher stimmten ihm zu und fügten hinzu, die Holländer seien zu tolerant gegenüber Ausländern mit „barbarischen“ Weltanschauungen und Verhaltensweisen gewesen, die „liberale“ Niederländer niemals gutheißen könnten. Sie alle stellten sich als große Verteidiger der Aufklärung dar und verlangten nach der Gleichberechtigung von Mann und Frau, nach der Trennung von Kirche und Staat, nach den Rechten des Individuums und so weiter – alles Ideale, die angeblich seit langer Zeit im „freien Westen“ verwirklicht werden. Dabei mussten diese Ideale, sofern sie überhaupt umgesetzt wurden, immer von Linken und von Feministinnen verfochten werden – meistens gegen Leute wie diejenigen, die sie nun großspurig als Ergebnis ihrer eigenen Anstrengungen darstellten.

Den Meinungsmachern gelang es, die gesamte Gesellschaft zu mobilisieren. Indem sie fortdauernd gegen die von manchen Migrantinnen getragenen Kopftücher argumentierten – die per Definition als repressiv gegen Frauen galten – gelang es ihnen, Einfluss auf große Teile der Frauenbewegung zu gewinnen. Dasselbe geschah mit der Schwulenbewegung, nachdem ein Imam gesagt hatte, Schwulsein sei eine Krankheit. Seine Bemerkung wurde zu einem riesigen Skandal aufgeblasen. Bezeichnenderweise verursachte eine ähnliche Aussage eines protestantischen Christen einige Monate zuvor bei weitem nicht soviel Aufruhr. Zunehmend wurden Probleme wie Fundamentalismus, Homophobie, Patriarchat und selbst Antisemitismus als von Fremden importiert angesehen. Das ist selbstverständlich Unfug – was nicht heißen soll, dass diese Probleme unter MigrantInnen und Flüchtlingen nicht existieren. Sie haben jedoch nichts mit Nationalitäten zu tun.

In Folge dieser Debatten erhitzte sich die politische Atmosphäre zusehends, was wiederum dazu führte, dass nach dem 11. 9. 2001 Dutzende Moscheen und Flüchtlingslager attackiert wurden. Im selben Sommer beschloss Pim Fortuyn, in die Politik zu gehen. Als Universitätsprofessor hatte er rassistische Ansichten von sich geben können, für die Neonazis normalerweise strafrechtlich verfolgt worden wären. Er nannte den Islam eine „rückständige Religion“ und suggerierte, dass Schwule wie er sich wegen homophober Angriffe von Marokkanern nicht mehr sicher fühlen könnten. Er warnte von der „Islamisierung“ der „holländischen Kultur“ und machte sich für einen „Kalten Krieg gegen den Islam“ stark. Ausländer waren für ihn weitgehend Kriminelle. Man solle diese „Wahrheiten“ offen sagen können, ohne Rassist genannt zu werden, sagte Fortuyn. Mit jeder solcher Bemerkungen wuchs seine Popularität. Nach dem 6.Mai 2002, als Fortuyn nur wenige Tage vor den Wahlen ermordet worden war, huldigten Tausende seiner Anhänger auf den Straßen jenem Mann, der sich „nicht scheute zu sagen, was wir alle denken“.

Heute können Meinungsmacher und Politiker verbal auf MigrantInnen einschlagen, ohne dafür kritisiert zu werden, solange sie Themen wie Frauenunterdrückung, Feme- und Rachemorde, Kopftücher und islamischen Fundamentalismus bemühen. Indem sie den Eindruck erwecken, weiblichen Opfern von Gewalt zur Hilfe zu kommen, kreierte die Rechte ein humanes Image von sich selbst. Zugleich schwiegen viele Linke und AntirassistInnen zu diesen Themen, weil sie befürchteten, der Rechten beizupflichten. Somit behielt die Rechte die Initiative, und der Linken blieb nichts anderes übrig als hilflos zuzusehen, wie der Rassismus zur Normalität wurde. Indem die Rechte andauernd und in einseitiger Weise die Gewalt von migrantischen Männern betonte, griff sie auf die jahrhundertealten, aber fortdauernden kolonialen und rassistischen Stereotypen zurück, nach denen Schwarze bedrohliche Vergewaltiger und von Natur aus emotionalisiert und gewalttätig sind.

Im September 2002 begann im Parlament und in den Medien die „Integrationsdebatte“. In den folgenden zwei Jahren lancierten Politiker und Meinungsmacher nahezu jeden Tag Forderungen nach noch harscheren Maßnahmen gegen MigrantInnen und Flüchtlinge. In dieser nationalistischen Atmosphäre schwanden die Differenzen zwischen rechts und links zusehends. Im Frühjahr 2004 schrieben 40 der prominentesten Meinungsmacher, von ganz links bis zur konservativen Rechten, einen Offenen Brief, in dem sie die Regierung aufforderten, den erzielten „Konsens“ umgehend in Gesetze zu gießen. Die meisten Parteien verlangten nach einem obligatorischen Integrationsvertrag, in dem sich die MigrantInnen den niederländischen Werten verpflichten müssen. Als Ergebnis dieser Debatte müssen alle MigrantInnen der ersten und zweiten Generation fortan „Integrationskurse“ mit Kosten in Höhe von 6.000 Euro absolvieren, andernfalls droht ihnen der Ausschluss aus dem Sozialsystem oder gar Abschiebung.

Eines der wichtigsten Ziele der neuen Einwanderungspolitik ist es, MigrantInnen für die niederländische Wirtschaft nützlicher zu machen. Für MigrantInnen mit schlechter Ausbildung sind die Grenzen nun verschlossen, und es werden Pläne entwickelt, wie neue Einwanderer vollständig von Sozialleistungen ausgeschlossen werden können. Zudem wird überlegt, wie die MigrantInnen in jene Gebiete verteilt werden können, in denen die Wirtschaft sie am meisten benötigt.

Generalverdacht nach Van Gogh

Gerade als die Integrationsdebatte etwas abkühlte, wurde Van Gogh ermordet. In seinen Kolumnen und anderen Texten hatte er Muslime als „Ziegenficker“, „Zuhälter des Propheten“ oder als „Stiefelputzer Allahs“ bezeichnet. Muslime waren für ihn „Botschafter äußerster rückständiger Dunkelheit“ und der Islam eine „Bedrohung unserer Freiheit“. Zusammen mit der liberal-konservativen Parlamentsabgeordneten Ayaan Hirsi Ali (VVD) hatte er den Kurzfilm „Submission“ produziert, der zeigt, wie herabwertende Koranaussagen über Frauen auf Frauenkörper geschrieben werden.

Nach seiner Ermordung verlangten die meisten Parlamentsabgeordneten strenge Maßnahmen gegen Extremismus. Überflüssig zu erwähnen, dass sie damit nur den islamischen Extremismus meinten und nicht den der „niederländischen“ extremen Rechten mitsamt ihrer Dutzenden Anschläge auf Moscheen, oder den des Extremisten Wilders. Diese antiislamische Agitation war sehr erfolgreich, wie eine Studie des Instituts Motivaction anderthalb Wochen nach dem Mord ergab. 80 Prozent der Befragten wollten eine härtere Integrationspolitik, 90 Prozent wollten mehr Rechte für die Polizei und die Geheimdienste, 60 Prozent wollten der Polizei erlauben, bei der Terrorismusbekämpfung Gesetze zu brechen, und 40 Prozent sagten sogar, sie wünschten sich, dass Muslime sich fortan in den Niederlanden nicht mehr zu Hause fühlen. Die Regierung reagierte darauf, indem sie neue repressive Maßnahmen erließ.

Meinungsmacher, Politiker und selbst einige linke Aktivisten erwarteten von Muslimen und MigrantInnen, dass sie sich umgehend von dem Mord distanzierten. Auf diese Weise wurden sie zu Verdächtigen gemacht und sie entmenschlicht, gerade so, als sei es nicht selbstverständlich, dass Muslime und MigrantInnen die Ermordung von Menschen ablehnen. Einige Muslime weigerten sich prinzipiell, sich zu distanzieren und antworteten: „Was habe wir mit diesem Typen, diesem Mörder, zu tun?“ Ein Student marokkanischer Herkunft hielt entgegen: „Wir glauben doch auch nicht, dass jeder Weiße ein Faschist ist, obwohl jetzt islamische Schulen in Brand gesteckt werden“. Angesichts der Tatsache, dass van Goghs Mörder nicht nur Muslim, sondern auch rechts, männlich und niederländisch war, ist es eine nationalistische Entscheidung, ausschließlich von Muslimen und MigrantInnen eine Distanzierung zu verlangen und nicht auch von allen Rechten, Gläubigen oder Männern.

Die Sichtweise, gegenwärtig fände ein globaler Kulturkrieg zwischen „uns“ und „dem Islam“ statt, hat weitreichende Konsequenzen: In dem Maße, wie Regierung und Medien die MigrantInnen ausschließlich als Muslime wahrnehmen, werden diese regelrecht zu Muslimen gemacht. In Zeiten politischer Auseinandersetzungen unterhält die Regierung kaum Kontakte zu MigrantInnenorganisationen, mit Ausnahme der Contactorgaan Moslims Overheid, die vom Staat selbst gegründet wurde und von ihm finanziert und gelenkt wird.

Krieg von beiden Seiten

Die islamischen Fundamentalisten ihrerseits schaffen ebenfalls kulturelle und religiöse Identitäten, die sie den Leuten aufzuzwingen versuchen. Van Goghs Mörder beispielsweise bezeichnete in seinem „Offenen Brief an Hirsi Ali“ den liberalkonservativen Abgeordneten Van Aartsen (VVD) als „Juden“, obwohl er keiner ist. Im Weltbild des Mörders und anderer religiöser Faschisten ist die niederländische Politik vollständig von Juden und ihren Lakaien dominiert. Wie viele Politiker und Meinungsmacher nähren auch sie die Vorstellung vom „Krieg der Kulturen“, und auch sie lehnen jegliche linken und feministischen Vorstellungen scharf ab. Beide Seiten benutzen diesen angeblichen Krieg der Kulturen, um die Bevölkerung hinter sich zu bringen, zu mobilisieren und zu kontrollieren.

Bedauerlicherweise argumentieren große Teile der außerparlamentarischen Linken ebenfalls in kulturalistischen Kategorien. Aus Angst, den Islam als ganzes zu kritisieren, weigern sie sich, über islamischen Fundamentalismus oder arabischen Nationalismus zu sprechen. Von einigen Linken werden die Fundamentalisten und Nationalisten sogar als mögliche Verbündete angesehen, weil sie in der Lage seien, viele Migranten zu mobilisieren. Doch der islamische Fundamentalismus ist nichts anderes als religiöser Faschismus, und dem arabischen Nationalismus geht es um die Zerstörung der Linken und des Feminismus. Die Ignorierung des rechtsextremen Charakters dieser Strömungen führte bei Demonstrationen gegen den Irakkrieg oder gegen Israels Besatzungspolitik zu antisemitischen, patriarchalen und schwulenfeindlichen Slogans und sogar zu Gewalt. „Hamas, Hamas, alle Juden ins Gas“ wurde zu einer verbreiteten Parole.

Durch all diese Faktoren ist es heute in den Niederlanden „politisch korrekt“, gegen den Multikulturalismus zu sein. Kein Tag vergeht, an dem nicht Politiker und Meinungsmacher die ihrer Ansicht nach „vollständig gescheiterte multikulturelle Gesellschaft“ niedermachen. Doch diese Kritik kann den ihr eigenen Rassismus gegen MigrantInnen, Flüchtlinge und Muslime kaum verbergen. Obwohl die radikale Linke allen Grund zur Kritik am Multikulturalismus hat, ist es vor diesem Hintergrund nicht ratsam, ihn ausgerechnet jetzt zu attackieren. Sie sollte den Rassismus bekämpfen, ohne dabei den Multikulturalismus zu verteidigen. Die Linke sollte nicht in Kategorien wie „Kulturen“ denken oder für einen „Dialog der Kulturen“ plädieren, was immer mit letzterem gemeint sein soll. Bei ihrem Kampf gegen alle Arten von Ungerechtigkeit sollte sie ihre Aufmerksamkeit vielmehr den ungleichen Machtbeziehungen widmen.

Eric Krebbers ist Mitarbeiter der antirassistischen Organisation De Fabel van de illegaal und lebt in Leiden (NL). Unter www.gebladerte.nl/v01.htm finden sich einige deutschsprachige Texte der Gruppe.

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